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Beilstein und seine jüdische Gemeinde - Rundbrief vom Regionalverband Cochem-Zell - Januar 2022 - Rheinischen Verein für Denkmalpflege und Landschafts­schutz
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Die ehemalige Beilsteiner Synagoge © Rainer Vitz 

Beilstein und seine jüdische Gemeinde – Rundbrief vom Regionalverband Cochem-Zell – Januar 2022

18.01.2022

Der kleine Moselort Beilstein besaß seit dem beginnenden 14. Jahrhundert eine bedeutende jüdische Gemeinde. Der damalige Herrscher über Burg und Städtchen, Johann von Braunshorn, konnte sich 1310 über die gleichzeitige Ansiedlung von 10 jüdischen Familien (d.h. etwa 60-70 Personen) freuen. 

Was Johann von Braunshorn bewog den zehn jüdischen Familien Raum für ihre Besiedlung ausschließlich hinter der nördlichen und teilweise westlichen Stadtmauer zu gewähren ist heute schwer zu sagen.Ob er ein abgeschlossenes Ghetto (das heißt einen separierten und verschließbaren Stadtbereich) für die Beilsteiner Juden vorsah, ist eher unwahrscheinlich. Die zwei überbauten Tore, die heute in Beilstein in der Forschung mitunter als Eingangs- bzw. Ausgangstore des Judenviertels bezeichnet werden, sind weit jüngeren Datums.

Wahrscheinlicher ist es, dass Johann von Braunshorn das Gewähren der jüdischen Ansiedlungen mit dem Bau bzw. Unterhalt der Stadtmauer in diesem Teil Beilsteins im Jahre 1310 verband. Auch dürfte es den angesiedelten Juden leicht gefallen sein, sich im nord-westlichen Teil Beilsteins gewissermaßen zu separieren. Eine Separierung war nicht unbedingt von der Obrigkeit vorgegeben, sondern lag auch im Interesse der Juden selber. Völlig unterschiedlicher Kult, unterschiedliche Feiertage, andersartige Feste, Essgewohnheiten, Bet-Zeiten, ein komplett andersartiges soziales Gefüge, all das machte ein Zusammenleben zwischen Christen und Juden in unmittelbarer Nachbarschaft nicht konfliktfrei. Ein Zusammenleben mit jüdischen Nachbarn hat den Alltag hier sicherlich einfacher gemacht.

Die Ansiedlung der Jüdischen Gemeinde in Beilstein im Jahr 1310

Der erste bedeutende Herrscher auf Beilstein, Johann von Braunshorn, war Haushofmeister von König Heinrich VII, hatte diesem wohl gute Dienste geleistet und stand ihm recht nahe. Heinrich verlieh ihm 1309/10 das Stadtrecht und genehmigte ihm die Ansiedlung von zunächst 40 Bürgern und 10 jüdischen Haushaltsvorständen mit ihren Familien. Die Anzahl von 10 Familien war kein Zufall – konnte eine eigenständige jüdische Gemeinde mit regelmäßigem Gottesdienst sich erst gründen mit dem Bestehen des sogenannten Minjans (das heißt zehn oder mehr im religiösen Sinne mündige Männer). Heinrich VII hatte an der Gründung der jüdischen Gemeinde in Beilstein auch ein eigenes Interesse. So spülten ihm zehn weitere Schutzjuden diverse Einnahmen (Leibzoll, Krönungssteuern, Toleranzgeld für den Aufenthalt im Reich und weitere Abgaben) in seine Schatullen. Johann von Braunshorn konnte sich ebenfalls über das Erheben von diversen Steuern freuen, die er von den Juden einnahm. Die Ansiedlung der Juden ganz zu Beginn der Beilsteiner Stadtgründung hatte also insbesondere fiskalisch/ ökonomische Gründe.

Die meisten der 1310 nach Beilstein gekommenen Juden kamen vom Mittelrhein, insbesondere aus Oberwesel. Im Raum Oberwesel/ Bacharach kam es seit 1287 immer wieder zu Ritualmordvorwürfen an den Juden. Man warf ihnen vor, den 16- jährigen Weinbergsarbeiter Werner im Jahre 1287 ermordet zu haben, um sein Blut beim Passachfest zu verwenden. In Folge dieser absurden antijudaistischen Vorwürfe und der damit einhergehenden Pogromstimmung verließen zahlreiche jüdische Bürger den Raum Oberwesel/ Bacharach.

Die Beilsteiner Synagoge

Es ist davon auszugehen, dass die zehn jüdischen Familien rasch bestrebt waren in dem, ihnen zugewiesenen Territorium ein eigenes Bethaus zu errichten. Eine eigene Betstätte (griechisch: Synagoge), bedeutet so viel wie Haus der Zusammenkunft) ist im Gegensatz zu einer christlichen Kirche kein geweihter Ort mit ausschließlicher Gottesdienstfunktion, sondern oftmals ein Mehrfunktionsraum. Ein jüdischer Gottesdienst könnte theoretisch an jedem Ort der Welt stattfinden. Voraussetzung ist lediglich das Vorhandensein des Minjans und bestimmter kultischer Gegenstände. Berücksichtigt man, dass eine solche Versammlungsstätte (insbesondere in den kleinen jüdischen Landgemeinden) zumeist auch als Lehrraum zur Unterweisung der Thora genutzt wurde, dass hier mitunter Hochzeiten, Familienfeste und andere jüdische Feste gefeiert wurden, ist es hochwahrscheinlich, dass die Beilsteiner Judengemeinde von Beginn an, d.h. ab 1310 ein solches Versammlungshaus angestrebt hat. Dieses wird sie mit Sicherheit auch im jüdischen Viertel gebaut haben. Das heutige Gebäude stammt, was die Westfassade angeht, aus dem ersten Drittel des 19. Jahrhunders, die Ostfassade dem Ortsinnern zugesandt höchstwahrscheinlich aus dem 18. Jahrhundert. Ob der Kern des Gebäudes, hier vor allem der hintere Teil zur Weingasse hin gelegen, älteren Datums ist müsste durch eine intensive historisch bzw. dendrochronologische Bestandsuntersuchung geklärt werden.

Ehemlige Beilsteiner Synagoge © Rainer Vitz

Eine Mikwe in Beilstein?

Zu einer jüdischen Gemeinde gehört seit alters her eine Mikwe, also ein rituelles Tauchbad. Die Mikwen dienten nicht der Reinigung d.h. Körperpflege sondern der rituellen Befreiung von „Unreinheiten“, zu denen bestimmte Körperflüssigkeiten, aber auch der Kontakt zu Toten gehört. Der Besuch des Gottesdienstes war mitunter ohne den Besuch der Mikwe nicht möglich. Eine Jüdische Gemeinde mit reichhaltigem jüdischen Leben und Synagogenbetrieb, wie dies in Beilstein der Fall war, ist kaum vorstellbar ohne ein eigenes kultisches Bad. Es ist mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die Beilsteiner Judengemeinde eine solche Mikwe besaß. Unter Berücksichtigung dieser Gegebenheit und der herausragenden Bedeutung der Beilsteiner Judengemeinde für den ganzen Moselkrampen kann es als nahezu gesichert gelten, dass die Synagoge ein eigenes kultisches Ritualbad besaß. Die Zuleitung mit „lebendigem Wasser“ (das konnte Grundwasser, Quellwasser, Regenwasser, aber auch alle anderen fließenden Gewässer sein) war durch den nahegelegenen Hinterbach (heute überbaut mit der Umgehungsstraße Alte Wehrstraße) gegeben. Wahrscheinlich hat sich dieses kultische Becken im tonnengewölbten Keller des Synagogengebäudes befunden.

Die Beilsteiner Judenschule

Lernen und Lehren haben im Judentum traditionell eine sehr große Bedeutung. Nicht nur der Disput und die Interpretation religiöser Schriften waren den Juden wichtig, es galt auch als wichtig, den Kindern, insbesondere den Jungen, Sprachkenntnisse, Rechnen, Schreiben, Geografie und Naturwissenschaften zu vermitteln. Mit der Einführung der allgemeinen Schulpflicht in der Preußischen Rheinprovinz wurde es 1824 auch den jüdischen Gemeinden erlaubt, öffentliche konfessionelle Schulen einzurichten. Die zu diesem Zeitpunkt schon recht bedeutende Judengemeinde Beilsteins nahm diese Möglichkeit wahr und erweiterte das Synagogengebäude in den Folgejahren moselseitig über die ehemalige Stadtmauer hinaus um knapp drei Meter. Raphael Marx, erster namentlich erwähnter Lehrer, unterrichtet zwischen 1837 und 1842 bis zu 20 jüdische Schüler. Sein Nachfolger wurde im gleichen Jahr Samuel Borek. Aber schon im darauf folgenden Jahr, 1843 verließ Lehrer Borek Beilstein wieder. Vor allem die Abwanderung junger Familien ließ die Zahl der Schulkinder auf 12 absinken. Die Beilsteiner Judengemeinde konnte unter diesen Umständen keinen eigenen Lehrer mehr bezahlen und beendete den Schulbetrieb. Noch einmal versuchte man eine eigene jüdische Schule aufzubauen. Zwischen 1863 und 1867 suchte die Israelitische Gemeinde zu Beilstein per Anzeige einen jüdischen Lehrer, den man schließlich 1866 in Person des Karl Simon fand. Aber schon ein Jahr später, 1867, entließ man ihn. Simon war der letzte Lehrer in der jüdischen Beilsteiner Schule. 1867 gab die Gemeinde dann endgültig den Versuch auf, eine eigene Schule zu betreiben. Ab 1867 besuchten die jüdischen Kinder die katholische Dorfschule im Beilsteiner Bürgerhaus auf dem Marktplatz.

Der jüdische Friedhof

Der jüdische Friedhof Beilsteins liegt östlich der Burg in einem kleinen Wäldchen, etwa 300 Meter außerhalb des Ortskerns. Hier bestatteten nicht nur die Beilsteiner Juden ihre Toten, sondern auch Familien aus dem nahe gelegenen Senheim, Mesenich, Ediger-Eller, Bremm und Bruttig. In Beilstein steht der älteste noch lesbare Grabstein an der nördlichen Spitze des Areals (Richtung Burgruine). Die Gräberreihen verjüngen sich nach Süden hin und lassen als jüngste Grablege eine Stele für Eva Simon aus Bruttig erkennen, gestorben am 1.1.1938. Danach hat es keine Beerdigungen mehr gegeben. Nach dem Progrom vom November 1938 wanderten immer mehr jüdische Familien aus dem Kreis aus. Die es nicht rechtzeitig schafften, wurden ab 1941/42 in die Konzentrationslager deportiert. In der Folge hat man den Friedhof sich selber überlassen und die Natur hat sich seiner bemächtigt, was ein Stück auch jüdischer Tradition entspricht. Eine zielgerichtete Schändung bzw. Zerstörung hat es in der NS-Zeit wohl nicht gegeben. Auffällig jedoch bei vielen Grabstelen ist das Fehlen der inneren Intarsienplatten, oft aus Marmor oder geschliffenem Granit angefertigt. Diese Platten mit Grabinschriften, Geburts- und Todesdaten sind heute kaum noch vorhanden.

Der jüdische Friedhof in Beilstein © Rainer Vitz

Ob hier die NS-Zeit mit ihren antisemitischen Taten und Exzessen ursächlich ist, lässt sich heute nur noch vermuten.

Sukkotdächer in Beilstein

Eine Besonderheit, die bis in das beginnende 20. Jahrhundert das Stadtbild Beilsteins stark bestimmt haben dürfte waren die sogenannten Sukkot-Dächer in Beilstein. Das war eine technische Besonderheit, die es ermöglichte Teilbereiche eines verschieferten Dachstuhles aufzuklappen. Erklärbar war diese Eigentümlichkeit mit den Erfordernissen, die das einwöchige jüdische Sukkotfest im Herbst mit sich brachte. Das sieben-tägige Sukkotfest, oder auch Laubhüttenfest, wird von den Juden im Herbst gefeiert; ursprünglich als Erntedankfest, später auch als Erinnerung an den Auszug der Israeliten aus Ägypten unter der Anführerschaft von Moses. (etwa 1300 Jahre v.u. Zeitrechnung). Während der 40- jährigen Wüstenwanderungen lebten die Israeliten in Zelten oder provisorischen Hütten. Der Aufenthalt der jüdischen Familie während des Sukkotfestes in solchen Hütten, die meist aus Zweigen, Flechtwerk, Laub, Stroh usw. errichtet wurden und mit einem provisorischen teilweise lichtdurchlässigem Dach aus Zweigen und Laub gedeckt waren, sollte an diese entbehrungsreiche Zeit erinnern. Die Sukka/ Laubhütte musste im Freien stehen und den Blick zum Sternenhimmel ermöglichen. Das war für die jüdischen Beilsteiner im Ortskern nur sehr schwer zu erfüllen – besaßen doch die wenigsten Wohnhäuser einen Hof, Garten oder ähnliches. Beilsteiner Juden setzten das göttliche Gebot, sieben Tage unter freiem Himmel zu leben in einer höchst kreativen Form um, indem man das mit Schiefer gedeckte Satteldach mit einer Mechanik versah, die es ermöglichte Teile des Daches aufzuklappen. In der Mitte des 19. Jahrhunderts dürfte es etwa ein Dutzend dieser Sukkotdächer in Beilstein gegeben haben. Die letzten beiden (die ehemalige Jugendherberge und das heutiges Gasthaus „Gute Quelle“, beides auf dem Marktplatz gelegen) wurden durch Sanierung der Dächer in den 1950er und 1960er Jahren zerstört.

Zerfall der jüdischen Gemeinde

Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts zerfielen die jüdischen Gemeinden im heutigen Kreisgebiet. Diese Entwicklung traf auch auf Beilstein zu. Die Judenemanzipation im Wilhelminischen Reich ab etwa 1871, aber auch eine zunehmende Assimilation ließ vor allem junge Familien in die preußischen Metropolen ziehen. Sie sahen im Leben ihrer Väter und Großväter als Landjuden keine erstrebenswerte Zukunft mehr. Gab es in den 1830er Jahren noch bis zu 20 Jüdische Schulkinder am Ort, hat man 1867 den Gedanken an eine eigene jüdische Schule in Ermangelung ausreichender Schülerzahl aufgegeben. Den letzten jüdischen Gottesdienst hat die Beilsteiner Synagoge wohl vor dem ersten Weltkrieg gesehen und man sah sich gezwungen die Gemeinde auch offiziell aufzulösen und sich von den letzten Kultusgegenständen zu trennen. In einer Anzeige vom 16. April 1920 veröffentlicht im „Jüdischen Boten vom Rhein – Jüdisches Wochenblatt“ bot die israelitische Gemeinde zu Beilstein aufgrund ihrer Selbstauflösung diverse Kultusgegenstände, Bücher, selbst eine Thorarolle zum Kauf an. Wenige Jahre später verkaufte Sigmund Lipmann auch das Synagogengebäude in der Weingasse. Die mehr als 600 Jahre alte jüdische Gemeinde zu Beilstein existierte nicht mehr.

Die Zeit der NS- Verfolgung

Mit der Machtübertragung an die NSDAP am 30. Januar 1933 wurde das Leben für Menschen jüdischen Glaubens in Deutschland sukzessive unerträglich. Von der ehemals großen jüdischen Gemeinde in Beilstein wohnten zu Beginn des Jahres 1933 in Beilstein nur noch das Ehepaar Karl und Theresia Koppel und die Schwester von Karl Koppel. Der Weingutsbesitzer und Gastwirt Sigmund Lipmann war im Jahr zuvor, 1932 verstorben. Alle anderen jüdischen Familien waren in den Jahren zwischen 1900 und etwa 1930 von Beilstein fortgezogen, was sie in den seltensten Fällen vor Verfolgung bewahrte. 14 Beilsteiner jüdischen Glaubens wurden zwischen 1942 und 45 von der Mordmaschinerie des NS-Staates umgebracht.

Was erinnert heute noch an die Jüdische Gemeinde Beilstein?

Vergegenwärtigt man sich, wie bedeutend die jüdischen Beilsteiner mehr als 600 Jahre für den Ort waren, so ist es recht betrüblich wie wenig an das jüdische Beilstein heute noch erinnert. Der jüdische Friedhof liegt außerhalb des Ortskernes und wird von den allerwenigsten Touristen wahrgenommen. Auch gibt es im Ortskern keinerlei Hinweis mehr auf diesen Friedhof. Es bleibt zu hoffen, dass die bedeutende jüdische Vergangenheit in Beilstein sich zukünftig eines größeren Interesses erfreuen darf. Weitergehende Informationen mit zahlreichen historischen Fotodokumenten finden sich auf der Internetseite des Autors: www.stadtfuehrungen-beilstein.de

 

Ein Bericht von
Rainer Vitz

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